"Wo zwei oder drei versammelt sind in
meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen."
(Matth. 18, 20.)

Gründung

Die Neuendettelsauer Diakonissenanstalt wurde am 9. Mai 1854 vom Dorfpfarrer Wilhelm Löhe in einer Gastwirtschaft gegründet.
Löhe (21.02.1808 – 02.01.1872) war ein vielseitiger, tatkräftiger Geistlicher: ein hochkarätiger Theologe, ein glänzender Prediger und ein begnadeter Seelsorger, dem sehr an der Erneuerung der Kirche und an der Verbreitung des Evangeliums lag. 1842 gründete er die „Gesellschaft für Innere Mission im Sinne der Lutherischen Kirche“, ab 1845 engagierte er sich in der Ausbildung von Seelsorgern für die deutschen Auswanderer in Amerika und gründete im Lauf der folgenden Jahre vier missionarische Gemeinden im US-Staat Michigan, deren geistliche Weiterentwicklung er genauestens verfolgte und begleitete, 1848 veröffentlichte er den „Vorschlag zur Vereinigung luth. Christen für apostolisches Leben“ und er griff den Diakonissengedanken der Urgemeinde wieder auf.

Löhe hatte einen scharfen Blick für die Dinge:

  • Er sah die soziale Not, die durch die Industrialisierung in den Dörfern und Städten eingekehrt war.
  • Er sah einen Zusammenhang zwischen sozialer Not und Sünde.
  • Ihm war die Bibel Zentrum des Lebens, und dabei wurde ihm sehr wichtig: „Was ihr getan habt einem der Geringsten, das habt ihr mir, Jesus, getan“ (Matth. 25)
  • Löhe sah eine Gruppe von Menschen, die fähig und willens wären anzupacken, wenn…: In Bayern hing eine Eheerlaubnis in jener Zeit davon ab, ob der Bräutigam eine Familie würde ernähren können. In den fränkischen Dörfern, in denen Erbteilung üblich war, gab es dadurch viele Unverheiratete. Für die jungen Frauen war dies besonders schwierig, da sie ja außerhalb ihrer Familie nicht viel tun konnten: Das „schickte sich nicht“. Aufgrund der Armut wurde das wenige Geld, das in den Familien vorhanden war, in die Ausbildung der Söhne und bestenfalls in die Aussteuer der Töchter gesteckt, nicht aber in deren Ausbildung. Löhe sah, dass diese Frauen gerne mehr aus ihrem Leben machen würden.

All diese Dinge band Löhe zu einem Seil zusammen: Er bot an, unverheiratete Frauen, auch Witwen, zu Diakonissen auszubilden. Sie sollten „einflussreiche Trägerinnen göttlicher Gedanken werden“ („Bedenken über weibliche Diakonie innerhalb der protestantischen Kirchen Bayerns, insondere über zu errichtende Diakonissenanstalten“, 1853) und lernen, im Namen Jesu „den Elenden und Armen“ beizustehen. Die Kirchgemeinden sollten Vereine gründen, die dann die Frauen einsetzen, finanzieren und unterstützen sollten.
Die Frauen kamen gerne – sie erhielten die Ausbildung unabhängig davon, ob sie sich als Diakonisse einsegnen lassen wollten oder nicht. Löhe meinte, die Ausbildung komme den Gemeinden ja auch zugute, wenn die Frauen später gute Hausfrauen und Mütter würden.

Das Vereinswesen dagegen entwickelte sich nur zögerlich: Die Gemeinden nahmen gerne die Dienste der sehr gut ausgebildeten und auch in Glaubensfragen sprachfähigen Frauen an – doch die Verantwortung für diese Unverheirateten etwa gar im Krankheitsfall wollte man doch nicht so gerne übernehmen.

Deshalb sah Löhe sich gezwungen, eine Diakonissenschwesternschaft als Genossenschaft mit klaren Aufnahmekriterien und festen Regeln zu gründen. So bot er den Frauen nun außer der Ausbildung auch ein Zuhause, zu dem sie von ihrem Dienst immer wieder zurückkehren konnten, und das leiblich und geistlich für sie sorgte. Durch diese Form der Gemeinschaft entwickelten sich nun allmählich klare Regeln auch für das Alltagsleben der Diakonissen.

Das Diakonissenhaus in Neuendettelsau um 1855

Im September 1857 wurde aus dem „Diakonissenhaus“ ein „Mutterhaus“. Entsprechend den  Familien- und Gesellschaftsstrukturen des 19. Jahrhunderts war die Diakonissenanstalt lange Zeit stark patriarchalisch aufgebaut: Die Rektoren trafen die Entscheidungen und vertraten sie nach außen. Die Oberinnen als die „Mütter“ in diesem System übersetzten das, was die Rektoren sagten, für die „Töchter“ des Hauses und sorgten für einen geregelten Ablauf. Sie stärkten den „Vätern“ den Rücken und nahmen als kluge Frauen im Hintergrund ihren Einfluss durchaus wahr. Da die Diakonissen selbst im Alltagsgeschehen wenig Schriftliches über ihre eigenen Taten hinterließen, wurde die Geschichte des Hauses, wie die der meisten Diakonissenhäuser, überwiegend als „Vätergeschichte“ geschrieben.

Die patriarchalischen Strukturen wirken heute verstaubt. Doch sie sollen uns nicht den Blick dafür trüben, dass Löhe den Frauen seiner Zeit völlig neue Möglichkeiten eröffnete, ihnen viel Verantwortung übertrug und ihnen eine große Würde gab. Seit Löhe reagierte die Diakonissenanstalt – ab 1974 das Evang.-Luth. Diakoniewerk und seit 2019 Diakoneo - mit jeweils fortschrittlichen Mitteln professionell auf aktuelle Nöte der jeweiligen Zeit und wirkte damit weit in unser Land hinein.