Die Tracht der Neuendettelsauer Diakonissen

Schon Ende 1855 beginnen die Diakonissen, eine einheitliche Tracht zu tragen. Der Grund dafür ist in den Gewohnheiten der damaligen Zeit zu suchen: An der Kleidung ist der soziale Status einer Person abzulesen, man sieht, wie „betucht“ jemand ist. Löhes Diakonissen kommen aus allen Schichten der Gesellschaft. Im praktischen Einsatz gibt es immer wieder Schwierigkeiten, wenn eine Familie aus einfachem Stand sich von einer Diakonisse aus höheren sozialen Kreisen, einer Bürgerlichen oder gar einem Adelsfräulein „dienen“ lassen soll. Deshalb bitten die Schwestern Löhe um eine einheitliche Kleidung. Neuendettelsau liegt auf dem Land. So schlägt Löhe die Kleidung der Landbevölkerung vor. Doch greift er sozial recht hoch: Er empfiehlt den Diakonissen das Kleid der Bäuerin – in einem Dorf, in dem es neben dem Patronatsherren nur drei Bauern gibt; der Rest sind Kleinsthandwerker und Tagelöhner. Mit der Wahl der Kleidung will Löhe zum einen die Verbundenheit mit der Bevölkerung vor Ort – ländliche Kleidung – betonen. Zum anderen dokumentiert er den hohen Rang, den er dem Amt der Diakonisse in der Gemeinde beimisst; er hätte ja auch das Kleid der Tagelöhnersehefrau oder der Magd wählen können. Die Diakonissen nehmen seinen Vorschlag dankbar auf. Nur das Braun, das Löhe gerne als Farbe gesehen hätte, lehnen sie ab.

Im 19. Jahrhundert ist der Familienstand einer „Weibsperson“ stets an der Kopfbedeckung zu erkennen: Jungfrauen gehen ohne Kopfbedeckung; mit der Heirat kommt eine Frau „unter die Haube“. Nun sind unter den Diakonissen sowohl Jungfrauen zu finden als auch Frauen mit der Witwenhaube. Um freien Zugang in alle Häuser zu finden, ist eine Kopfbedeckung nötig. Löhe entscheidet sich für den Schleier: Er ist durch die Nonnen eindeutig als Zeichen belegt, dass diese Frauen im Namen Gottes dienen und in ihrem Dienst nicht nach einem männlichen Partner suchen. In der praktischen Arbeit erweist sich der hüftlange weiße Schleier als sehr unpraktisch; so wird er bald durch eine weiße Haube abgelöst.

Übrigens wird diese Tracht (ohne Schleier) auch das Sonntagsgewand aller Schülerinnen. Bis in die 1960er Jahre hinein trugen die Neuendettelsauer Schülerinnen zu ihrer Konfirmation dieses Kleid mit einem weißen Schleier.

 

Seit 2010 trägt eine wachsende Zahl von Diakonissen die neue Tracht

Neue Tracht

Zurzeit können die Schwestern zwischen zwei verschiedenen Trachtmodellen wählen: dem Kleid mit Haube, das seit 1963 getragen wird oder einem zweiteiligen Modell aus blau gepunktetem Stoff. Das neue Modell orientiert sich wieder stärker an der mittelfränkischen Tracht. Es ist ohne Haube: Welche zivile Frau zeigt heute noch durch ihre Kleidung ihren Familienstand an? Die Vielfalt der Individuen in der Diakonissengemeinschaft wird durch die verschiedenen Trachtmodelle nach außen deutlicher sichtbar. Doch alle tragen sie die Neuendettelsauer Tracht, und die Kette mit dem Gekreuzigten zeigt, worin die Einheit für alle besteht: Dass Jesus Christus uns in diese Gemeinschaft und in diesen Dienst gerufen hat.